Henrik Ibsen
Zur Bühnengeschichte seiner Gespenster
Rezension von Tobias Burghardt, Delta – Zeitschrift für Essayistik und Dichtung, 1990: „Angesichts veränderter Realitäten erhält das von Ibsen 1881 geschriebene Schauspiel verblüffende Aktualität: Es gibt kein richtigeres Stück über AIDS als „Gespenster“ (Einar Schleef). Der gesellschaftskritische Ansatz des Stücks, in dessen Mittelpunkt u. a. die Krankengeschichte eines jungen Mannes steht, lässt sich in seiner konkreten (norwegischen) Fassung übertragen auf allgemeingültige Zusammenhänge, die auch heute noch unsere Wirklichkeit ausmachen. Das Herzstück des Buches bildet die spannend zu lesende und gewissenhafte Aufzeichnung der Bühnengeschichte des Familiendramas von seinen Anfängen (z. B. der Welturaufführung am 20. Mai 1882 vor skandinavischen Einwanderern in Chicago) über Zensurverbote, – kontroversen und -aufhebungen bis zur Eröffnungsvorstellung der „Freien Bühne“ 1889 in Berlin, der Eröffnung der „Berliner Kammerspiele“ 1906 unter Leitung von Max Reinhardt (mit einem Bühnenbild von Edvard Munch) sowie einem vorübergehenden Desinteresse an Ibsen und seinen Stücken bis in die Nachkriegszeit. Von einer Wiederentdeckung Ibsens, sowohl auf der Bühne als auch in der „philologischen Forschung“ kann ab der siebenstündigen Peer-Gynt-Inszenierung von Peter Stein an der Berliner „Schaubühne“ (1970/71) gesprochen werden.
Die dramaturgische Arbeit von Marc Boettcher wird unerlässlich für denjenigen, der das „Gespenster“-Werk und Wirken differenziert und umfassend betrachten will. Im Anhang des Buches befinden sich Zensurakten, Kritiken, Bilder und andere Materialien, die den bemerkenswerten Einblick in die Bühnengeschichte sinnig veranschaulichen. Ibsen schrieb an seinen Verleger: Meinem Buch gehört die Zukunft. – In der Tat.“